Wie funktioniert nachhaltiges Bauen in Theorie und Praxis? Ein Bild davon machte sich die Staatssekretärin im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen, Andrea Lindlohr MdL, bei ihrer Sommertour 2025 „Nachhaltig Bauen in Baden-Württemberg“. In Bad Saulgau, Heidelberg, Oberkirch, Sexau, Stutensee und Stuttgart besuchte sie beispielhafte Projekte.
„Rund 40 Prozent der CO2-Emissionen bundesweit lassen sich auf Gebäude zurückführen. Nachhaltig geplante und gebaute Gebäude, in denen Bauteile wiederverwendet oder ressourcenschonende Baustoffe eingesetzt werden, sind deshalb für das Erreichen unserer Klimaschutzziele unverzichtbar“, sagte Staatssekretärin Lindlohr: „In unserem Land stecken viele Ideen für das nachhaltige Bauen. Wir wollen sie aus der Nische in die Breite bringen. Darum unterstützen wir neue Herangehensweisen, etwa um altbewährte Baumaterialien und Bautechniken für die Zukunft zusammenzubringen, und nehmen den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes in den Blick.“
Ein besonderer Fokus der Sommertour lag auf dem zirkulären und nachhaltigen Planen und Bauen, dem innovativen Umnutzen bestehender Gebäude und dem Einsatz natürlicher Baustoffe. Staatssekretärin Lindlohr: „Steigende Baupreise machen das zirkuläre Bauen und die Wiederverwendung von Bauteilen immer mehr zu einem wichtigen Faktor für bezahlbares Bauen. Doch die Praxis ist heute leider oft noch zu langwierig und kompliziert. Damit Bauen und Sanieren nachhaltiger wird, haben wir zusammen mit der Wissenschaft einen Leitfaden für die Wiederverwendung tragender Holz- und Stahlbauteile entwickelt. So bringen wir das zirkuläre Bauen in die Fläche.“
Die Stationen der Sommertour:
Den Auftakt bildete ein Besuch der Wohn- und Lebensgemeinschaft in Sexau am Montag, 4. August 2025: Das Stroh-Lehm-Bauprojekt mit acht Wohneinheiten und Gemeinschaftsräumen wurde von einer Baugruppe aus mehreren Familien auf einem knapp acht Hektar großen Gelände bei Freiburg gemeinschaftlich umgesetzt. Rund 100 Tonnen Lehm wurden auf vielfältige Weise verbaut, zum Beispiel in Form von Lehmsteinen in den Zwischendecken und Innenwänden oder zum Verputzen der Wände. Zudem wurde extra ein Verfahren entwickelt, um in der Zimmerei die Holzständerwände vorzufertigen und mit Strohballen von der Schwäbischen Alb auszufachen. So konnten die Häuser jeweils binnen eines Tages aufgestellt werden. Der mitwirkende Zimmereibetrieb hat diese Bauweise nach dem erfolgreichen Pilotprojekt in der Region etabliert. Die Projektverantwortlichen wurden im letzten Jahr mit dem Innovationspreis Lehmbau BW ausgezeichnet.
Staatssekretärin Lindlohr: „Das Projekt ist ein äußerst gelungenes Beispiel für die Verwendung des alten Baustoffs Lehm. Es macht das riesige Potenzial des Lehmbaus für klima- und ressourcenschonendes Bauen sichtbar. Der hohe Vorfertigungsgrad der Bauelemente ermöglicht eine serielle Herstellung, die Bauweise ist skalierbar und anpassungsfähig. Zudem erfüllen alle Häuser den KfW40-Effizienzhaus-Standard.“
Als nächstes stand das Hans-Furler-Gymnasium in Oberkirch auf dem Programm: Die Schule wurde bis auf die Außenhülle zurückgebaut, die Haustechnik modernisiert und das Innere neugestaltet. Entstanden sind helle, offene Räume, die Lernen und Begegnung ermöglichen. Nachhaltigkeit spielte bei Technik und Materialien eine große Rolle. Der Umbau wurde im Herbst 2024 fertiggestellt. Er wurde beispielhaft im digitalen Planungswerkzeugs des Landes „N!BBW – Nachhaltiges Bauen Baden-Württemberg“ dokumentiert. Die zehn Nachhaltigkeitskriterien des Planungswerkzeugs umfassen unter anderem die nachhaltige Ressourcenverwendung von Holz- und Betonbauteilen und die Berücksichtigung der Umweltwirkungen im Lebenszyklus.
Staatssekretärin Lindlohr: „Nachhaltiges Bauen fängt beim nachhaltigen Planen an. Mit N!BBW, unserem digitalen Planungswerkzeug, bieten wir hierfür allen am Bau Beteiligten ein geeignetes Instrument. Es hilft dabei, die Nachhaltigkeitsaspekte während allen Planungs- und Bauphasen im Blick zu behalten. Damit stärkt es die Transparenz im Prozess und schafft ein Wissensnetzwerk, das weit über das einzelne Vorhaben hinauswirkt.“
Die Sommertour am Dienstag, 5. August 2025, startete mit einem Besuch der Georg Reisch GmbH in Bad Saulgau. Das Traditionsunternehmen in dritter Generation testet neue Herangehensweisen für nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen, unter anderem recyclingbasierte Baustoffe oder Einsparungen von CO2 beim Bau und Betrieb von Gebäuden. Die Innovationsfreude des Unternehmens zeigt sich beispielsweise bei der Bertha Benz Schule in Sigmaringen. Der Neubau wird im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft vollständig von der Georg Reisch GmbH realisiert, von der Planung über den Bau bis zum technischen Betrieb für die nächsten 25 Jahre. Zudem wird ein nachhaltiges Gebäudekonzept mit modernen Energieeffizienztechnologien in Form von PV-Anlagen sowie einer kombinierten Wärmeversorgung durch eine Luft-Wasser-Wärmepumpe und Fernwärme realisiert.
Staatssekretärin Lindlohr: „Wenn wir die Emissionen beim Bauen senken wollen, dürfen wir nicht in den gewohnten Kästchen denken. Dafür brauchen wir innovative Unternehmenskraft. Die Georg Reisch GmbH entwickelt neue Herangehensweisen und adaptiert Altbewährtes für die nachhaltige Zukunft des Bauens. Und das mit wirtschaftlichem Erfolg. Hierfür wurde das Unternehmen mit Recht wiederholt ausgezeichnet, etwa mit dem Deutschen Baupreis 2024 oder der Wirtschaftsmedaille des Landes Baden-Württemberg 2018.“
Die nächste Station der Sommertour führte Staatssekretärin Lindlohr auf den Campus Vaihingen der Universität Stuttgart. Hier untersucht ein interdisziplinärer Zusammenschluss aus 14 Instituten am Beispiel des zwölfgeschossigen Hochhauses „Demonstrator D1244“, wie sich ein Gebäude selbstständig an wechselnde Umwelteinflüsse anpassen kann. Hierfür sind aktive Elemente in die Tragstruktur und die Fassade eingebaut: Durch die integrierte Sensorik erkennt das Gebäude äußere Einwirkungen wie Wind oder Erdbeben, und erzeugt mit Hilfe der eingebauten hydraulischen Regelungstechnik gezielt eine Gegenkraft. Das dämpft die Schwingungen und verhindert Verformungen – so kann deutlich leichter gebaut werden. Staatssekretärin Lindlohr: „Indem wir Baumasse reduzieren, können wir deutlich zur Einsparung von CO2-Emissionen beitragen. Insofern leistet das Hochhaus D1244 wichtige Pionierarbeit. Im adaptiven Bauen steckt gewaltiges Potenzial.“
Ein weiteres Projekt auf dem Campus beschäftigt sich mit dem kreislaufgerechten Umbau von Gebäudefassaden: Staatssekretärin Lindlohr informierte sich anhand des Gebäudes „Pfaffenwaldring 4F“, wie man mithilfe neuer Fassadenelemente die bauphysikalischen Eigenschaften eines Gebäudes aufwand- und ressourcenarm verbessern kann. Hierfür werden verschiedene Fassadensysteme hinsichtlich ihrer energetischen Performance getestet. Ein Fokus liegt dabei auf der Wiederverwendung von Bauteilen und der Integration von PV-Modulen. Ziel ist es herauszufinden, welche Fassadenelemente sich aus ökologischer und ökonomischer Sicht am besten für eine Sanierung eignen – und welche Fassadensanierung somit eine gute Alternative zu Abriss und Neubau des Gebäudes darstellt. Staatssekretärin Lindlohr: „Um unsere Klimaziele zu erreichen, müssen wir das Potenzial unserer Bestandsgebäude heben, anstatt immer gleich an Abriss zu denken. Mit geschickten Fassadensanierungen können wir bestehende Gebäude deutlich länger nutzbar machen – minimalinvasiv und effizient. Deshalb fördern wir das Projekt im Pfaffenwaldring im Rahmen des Strategiedialoges Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen.“
Am Mittwoch, 6. August 2025, besichtigte Staatssekretärin Andrea Lindlohr zunächst den Neubau einer Mehrzweckhalle in Stutensee-Staffort. Die neue Drais-Halle enthält neben einer Sporthalle eine Bühne und einen Gymnastikraum. Sie ist für den Schul- und Vereinssport nutzbar und verfügt über entsprechende Nebenräume mit Vorbereitungsküche, Speise- und Aufenthaltsräumen. Das Gebäude nimmt durch seine einfache kubische Form eine klare architektonische Haltung ein. Das Tragwerk des Gebäudes besteht aus Stahlbeton, Holz und Holzwerkstoffen. Auf dem Dach ist eine Photovoltaikanlage installiert. Die N!BBW-Nachhaltigkeitskriterien wurden bei Ausschreibung, Planung und Bau vorbildlich berücksichtigt.
Staatssekretärin Lindlohr: „Je früher Nachhaltigkeitsaspekte in Planung und Bau einfließen, desto größer ist ihre Wirkung. Sie sollten deshalb bereits in Wettbewerbe und Ausschreibungen einfließen. Denn klar ist: Erfolgreiche Planungsprozesse leben von der guten Zusammenarbeit aller Akteure. Mit N!BBW setzen wir genau da an. An der Mehrzweckhalle in Stutensee kann man deutlich sehen, welche Vorteile das nachhaltige Planen und Bauen bringt: für die Ökobilanz, aber auch für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nutzerinnen und Nutzer.“
Den Abschluss der Sommertour bildete das ehemalige Bahnbetriebswerk in Heidelberg. Das 1927 eröffnete, denkmalgeschützte Bahnbetriebswerk wurde als Eventlocation für Arbeit, Kultur und Kunst umgebaut und wird mit Neubauten ergänzt. Die neuen Gebäude entstehen innerhalb der historischen Strukturen, die einstige Hallenformen aufgreifen und interpretieren. Zum Einsatz kommt Leichtbeton in monolithischer Bauweise, ohne zusätzliche Klebstoffe: Damit lassen sich die Bauelemente später vollständig recyceln und wiederverwenden. Auch werden beim Rückbau gewonnene Originalsteine in den Neubau integriert. Ein hocheffizientes Energiekonzept zielt darauf, CO2-Emissionen unter Passivhausniveau zu erreichen. Ein Solardach sowie ein ressourcenschonendes Heiz- und Kühlsystem auf Basis von Brunnenwasser, Fern- und Serverabwärme gewährleisten nahezu emissionsfreie Energie für das gesamte Areal. Durch die gezielte Planung der Wandöffnungen und die optimale Positionierung der Fenster konnte auf zusätzliche Sonnenschutzelemente verzichtet werden.
Staatssekretärin Lindlohr: „Das Bahnbetriebswerk in Heidelberg vereint viele zukunftsweisende Ansätze unter einem Dach: ein ausgeklügeltes Energiekonzept, die Wiederverwendbarkeit der Bauteile, ein respektvoller Umgang mit dem historischen Bestand und nicht zuletzt der lebendige Nutzungsmix, bei dem die Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen. Ökologie, Ökonomie und Soziales – so umfassend kann man Nachhaltigkeit denken.“