Bauministerin Nicole Razavi MdL spricht im Interview mit dem Staatsanzeiger über die Eckpunkte des neuen Landesentwicklungsplans für Baden-Württemberg.
Staatsanzeiger: Als Sie die Eckpunkte für den Landesentwicklungsplan im Dezember vorgestellt haben, sorgte dies bei etlichen Abgeordneten und auch beim Städtetag für Irritationen. Hatten Sie mit einer solchen Reaktion gerechnet?
Ehrlich gesagt nein. Aber das zeigt, wie erklärungsintensiv nicht nur der Landesentwicklungsplan ist, sondern auch der Prozess, wie ein solcher Plan entsteht. Beim letzten Landesentwicklungsplan, der 2002 beschlossen wurde, wurden Parlament und Verbände erst eingebunden, als bereits ein Entwurf vorlag. Wir sind jetzt mit dem Eckpunktepapier deutlich früher eingestiegen.
Wann wird ein Entwurf vorliegen?
Hoffentlich Ende dieses Jahres. Wir wollten es diesmal bewusst anders machen. Wir wollen Bürger, Politik und Verbände bereits mit in die Entwurfsphase einbinden. Wir werden uns in den nächsten Wochen und Monaten mit ihnen intensiv über die Themen auseinandersetzen.
Sie wollen mit dem Landesentwicklungsplan Wohnungsbau, Industrieansiedlung, Rohstoffabbau, Daseinsvorsorge, Energieversorgung, Digitalisierung, Verkehr, Biotopverbund, Klimawandel abbilden und berücksichtigen. Kann so ein Plan das tatsächlich leisten?
Er muss es leisten. Aber das ist auch genau das Schwierige dabei. Wir müssen ein ausgewogenes Konstrukt erstellen, das diesen vielfältigen Ansprüchen gerecht wird und das zudem rechtssicher ist und den Regionalverbänden Planungssicherheit gibt. Gleichzeitig soll so ein Plan viele Jahre gültig sein. Doch wir wissen auch, dass sich die Welt schneller verändert als früher und dass Krisen in einer zuvor nicht gekannten Schnelligkeit kommen. Das haben Corona und auch der Ukrainekrieg gezeigt. Und deshalb muss es auch ein Plan sein, der Veränderungen standhält. Der bisherige Landesentwicklungsplan ist relativ starr.
Flächen sind aber begrenzt. Wie wird entschieden, wer die Flächen bekommt?
Die Politik darf nicht entscheiden, was guter oder schlechter Flächenbedarf ist. Vielmehr sind wir angehalten, anhand des Bedarfs eine Abwägung zu machen und die verschiedenen Ansprüche für Gewerbe, Mobilität, Energieversorgung, Wohnraum, Naherholung, Digitalisierung und weitere in ein Gleichgewicht zu bringen. Zugleich ist uns wichtig, die einzelnen Themen nicht getrennt zu betrachten. Denn wo gewohnt wird, braucht es auch Arbeitsplätze, eine entsprechende Energieversorgung, digitale Anbindung, Verkehrsanbindung, Erholungsflächen, Einkaufsmöglichkeiten und mehr.
Sie wollen den neuen Landesentwicklungsplan nicht mit Festlegungen überfrachten. Zugleich soll er allen Anforderungen gerecht werden. Wie viel Festlegung ist notwendig?
Das ist ein Plan aus der Vogelperspektive. Wir treffen keine Regelungen bis auf die kommunale Ebene hinunter. Vielmehr geben wir Leitplanken vor, innerhalb derer die Regionalverbände dann wiederum ihre Regionalpläne machen und an denen sich dann auch die Kommunen orientieren. Wir wollen den Kommunen ihre Handlungsspielräume lassen. Denn Mannheim ist nicht vergleichbar mit dem Schwarzwald, Stuttgart nicht mit dem ländlichen Raum im Allgäu. Jede Kommune soll sich im Rahmen des Landesentwicklungsplans positiv entwickeln können.
Große Unternehmen, die auf Standortsuche sind, siedeln sich immer häufiger nicht in Baden-Württemberg an. Mit ihrer Ansiedlungsstrategie will die Landesregierung das ändern. Welche Rolle spielt der LEP dabei?
Mit dem LEP müssen wir positive Rahmenbedingungen für die Wirtschaft im Blick behalten. Wir brauchen auch größere Flächen, die für Gewerbegebiete – auch interkommunale Gewerbegebiete – geeignet sind. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass wir unseren Wohlstand sichern. Die Entwicklung der letzten Jahre macht mir Sorgen. Immer mehr größere Unternehmen verlassen Baden-Württemberg, weil sie keine geeigneten Flächen finden, die Energieversorgung teurer als anderswo ist und Fachkräfte fehlen.
Sind andere Bundesländer da besser aufgestellt?
Vor Weihnachten hatten wir eine Konferenz der Raumentwicklungsminister in Cottbus. Dort ruft der OB seine älteren Mitbürger inzwischen dazu auf, ihren Kindern zu sagen, sie sollen doch wieder zurückkommen, da es dort Arbeit, bezahlbaren Wohnraum, Energie und Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Meine Ministerkollegen sagen: Was bei euch im Süden nicht mehr möglich ist: Wir sind bereit. Deshalb ist die Ansiedlungsstrategie des Landes genau richtig. Sorge macht mir aber auch, dass inzwischen interkommunale Gewerbegebiete immer häufiger an Bürgerentscheiden scheitern. Das sind dann Arbeitsplätze, die verloren gehen.
Der LEP gibt den Rahmen für die Regionalpläne vor. Ihr Ministerium hat im Herbst beim Regionalplan Bodensee-Oberschwaben vier Industrie- und Gewerbeschwerpunkte und ein Kalksteinabbaugebiet nicht genehmigt.
Die konnten wir nicht genehmigen. Da sprachen klare rechtliche Gründe dagegen. Das bedeutet aber nicht, dass die Kommunen nicht kleinere Gewerbegebiete vor Ort entwickeln können.
Wird das im neuen Landesentwicklungsplan anders aussehen?
Der neue Plan wird in jedem Fall anders sein als der alte. So werden wir etwa den Flächenbedarf besser definieren müssen. Eine Planung auf Vorrat wird nicht mehr möglich sein. Aber dort wo der Flächenbedarf für Wohnen, Gewerbe und anderes nachweislich vorhanden ist, muss auch eine Entwicklung möglich sein – auch und gerade für kleine Kommunen. Wir wollen uns von den komplizierten Regeln zur Prüfung des Bauflächenbedarfs, die regelmäßig für Unmut und Missverständnisse sorgen, verabschieden. An deren Stelle soll ein landesweit einheitliches, verständliches System der Bedarfsnachweise treten.
Ansprüche an die Fläche sind das eine. Doch im Koalitionsvertrag ist auch festgelegt, den Flächenverbrauch zunächst auf 2,5 Hektar pro Tag zu reduzieren und ab 2035 eine Nettonull zu erreichen.
Flankiert wird der Landesentwicklungsplan durch den Aktionsplan Flächensparen. Wir warten also nicht, bis der LEP verabschiedet ist, sondern gehen die Reduzierung schon jetzt mit Hochdruck an. Wir wollen – um nur zwei Beispiele zu nennen - mit Hilfe eines digitalen Katasters ermöglichen, dass Brachflächen in den Kommunen besser identifiziert werden können, und wir wollen das Entsiegeln versiegelter Flächen unterstützen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass beim sogenannten Flächenverbrauch nicht alles versiegelt wird, rund 50 Prozent sind Grünflächen. Zuletzt ist die Flächeninanspruchnahme auf 4,6 Hektar pro Tag gesunken. Wir sind also bei dem Thema auf dem richtigen Weg.
Quelle: Das Interview erschien am Freitag, 12. Januar 2024 im Staatsanzeiger.